Ein aktueller Beitrag in der Jagdzeitschrift Pirsch spricht an, was schon längst thematisiert gehört: Die Frage, ob das Rotwild nicht ein Fall für die Rote Liste ist. Bei jeder anderen Art, die einen Verbreitungsrückgang von rund 90 Prozent hat, nur noch inselartig isoliert vorkommt und in ihren Vorkommensbereichen schon genetische Inzuchtdefekte zeigt, wäre diese Frage wohl längst mit einem deutlichen JA beantwortet worden.
Aber das Rotwild muss ja im Interesse vieler ländlicher und forstlicher Lobby-Verbände in der Schädlingsecke bleiben, und da darf man so eine ketzerische Frage gar nicht erst stellen. Statt dessen hat die bayerische Forst- und damals noch Jagdministerin erst vor wenigen Jahren ihr Unverständnis über so eine Debatte ausgedrückt – angesichts von riesigen Hirschrudeln, die sie immer wieder in der Landschaft (wo?) gesehen haben will.
Die Tatsache, dass eine Rudellebende Art eher in Gruppen als vereinzelt in Auge fällt, könnte einer Fachministerin schon mal zu denken geben. Dazu kommt, dass die bloße Zahl an Individuen in einer Teilpopulation nicht automatisch etwas mit genetischer Vielfalt zu tun hat. Und schließlich sollten anwachsende und immer heimlicher werdenden Bestände in Staatsforsten und Nationalparken vielleicht mal ein Grund sein, die dortig angewandten „wildbiologischen“ und jagdlichen Kompetenzen gründlich zu hinterfragen. Aber soviel Gedanken zusammen sind wahrscheinlich einfach zu komplex für die ministerielle Suche nach schnellen, einfachen Lösungen.
Dafür spricht auch, dass unsere Staatsregierung vor Fakten lieber erstmal die Augen verschließt und weiter hauseigene Forscher forschen lässt, statt endlich ins Handeln zu kommen (siehe Beitrag unten bzw. Aussage Kaniber 2023: Sie sei „der Auffassung, dass es ohne aktualisierte Forschungsergebnisse für Bayern schwerlich zu einer sachgerechten Diskussion kommen kann“.) Also lieber mal weiter Geld in sinnlose bayerische Forschungsprojekte blasen statt echt was tun zu müssen.
Ein Prinzip, dass wir leider aktuell auch in unserem Nachbarland Baden-Württemberg perfektioniert sehen, wo eine FVA-Studie fürs ganze Land allerhöchsten Handlungsbedarf aufzeigt. Aussage der Wissenschaftler: Hirsche wieder wandern lassen allein wird die Situation schon gar nicht mehr retten können – es muss mehr getan werden! Doch der Minister meint, man müsse im kleinsten Rotwildgebiet nochmal genauer schauen, die Werte kämen ihm doch fragwürdig vor.
Dass er vor kurzem dann mit der Aussage durch die Medien geisterte, er werde tatsächlich Hirsche wieder wandern lassen, war wohl leider nur ein Ausrutscher.
(Hier findet Ihr eine Berichterstattung des SWR dazu)
Hier nur einige objektive fachliche Grundlagen zu diesem Thema, entnommen der Dissertation von Katharina Westekemper aus dem Jahr 2021 zur Auswirkungen von Landschaftsvariablen auf den Genfluss von Rothirsch (Cervus elaphus). Deutlich werden in dieser Arbeit die negativen Auswirkungen der menschlichen Infrastruktur und des derzeitigen Artmanagements auf den Genfluss gezeigt. Oben: die Verbreitung von Rotwild in Deutschland; Bundesländer mit ausgewiesenen Verbotszonen für Rotwild sind schraffiert.
Mitte: Der „Landschafts-Widerstand“ für Rotwild; links so wie es sein könnte (langfristig) und rechts, der aktuelle Zustand; je mehr rot in der Landschaft, desto schwieriger kann Rotwild diese Flächen Überwindern, bzw. durchwandern.
Unten links: Mögliche Wanderrouten und Korridore für Rotwild. Die lila Verbindungen sind Wanderkorridore von bis zu 100 km Länge. Die blauen Linien zeigen Wanderrouten, die doppelt so lang sind, wie Strecken, die jemals ein besenderter Hirsch zurückgelegt hat. Gelbe Linie zeigen Wanderrouten, die zwischen 100 und 150 km lang sind, orange Linien zwischen 150 und 200 km.
Unten rechts: Die grünen und gelben Routen können vermutlich von Rotwild gut zurückgelegt werden; die Linien in den verschiedenen Rotschattierungen sind dagegen eher zu lang für eine natürliche Verbindung von isolierten Populationen über Fernwechsel.
Meldung vom 30. März 2023
Das Thema der deutlichen genetischen Verarmung von Rotwild in Deutschland und vor allem im Süden der Republik ist brandaktuell und wird in den Medien rauf und runter gespielt. Neu ist es hingegen überhaupt nicht: Schon vor 25 Jahren – und seither immer wieder – haben Studien aufgezeigt, dass die Verinselung der Rotwildpopulationen in Bayern und auch anderswo auf Dauer nicht gutgehen kann. Der Verlust genetischer Vielfalt, die immer größeren Unterschiede zwischen den isolierten Gebieten und die zunehmende Inzucht sind mehrfach erforscht und nachgewiesen worden. Zuletzt in einer Studie der Universität Göttingen aus dem Jahr 2021, in der neben dem Spessart-Rotwild auch die Populationen in Grafenwöhr, dem Bayerischen Wald und in der kleinen Kürnach untersucht wurden.
Aber: Wer nicht wissen will, wird die genetische Verarmung auch nicht erkennen, auch wenn sie auf dem Tisch tanzt. Nicht anders erklärt sich für uns, dass die bayerische Forstministerin Michaela Kaniber erst Ende März 2023 darauf gekommen ist, dass für sie erst einmal Nachschauens-Bedarf besteht. In einem Brief an den bayerischen Jagdverband hat sie angekündigt, dass die Technische Universität München eine genetische Untersuchung der bayerischen Rotwildvorkommen durchführen wird. Für uns bedeutet das: Das Thema wird auf die lange Bank geschoben. Und der Brief ist durch die Blume die Ansage, dass die Jäger nicht weiter über das leidige Thema der Rotwildgebiete reden brauchen oder sollen, bevor nicht aus Weihenstephan „Daten“ vorgelegt werden – was wahrscheinlich erst in ein paar Jahren der Fall ist. Dann will die Ministerin eine „sachgerechte Diskussion“ beginnen.
Bis dahin wird unser Rotwild in den rotwildfreien Gebieten weiterhin mit allen Mitteln – Schonzeitaufhebungen, Nachtabschüsse – verfolgt werden, und sein Austausch mit anderen bayerischen Populationen bleibt unterbunden. In Ostbayern schmarotzt unser Freistaat von den noch vitalen Populationen in Tschechien.
Uns vom Wilden Bayern dauert das zu lange, deshalb hier nochmal die dringende Bitte:
Unterschreibt unsere Petition „Hirschkuh Hanna lernt fliegen“ für eine Auflösung der rotwildfreien Gebiete! Wir müssen JETZT handeln, bevor es zu spät ist!
Bildquelle: Katharina Westekemper, Screenshot (9)
…der Erhalt des einzigartigen Rotwildes in Deutschland als Kulturerbe
und dessen Lebensraumschutzes mit der Möglichkeit natürlicher Wanderbewegungen gehört erhalten und ausgeweitet bzw. wieder lückenlos hergestellt. Die nachhaltige Bewirtschaftung unter strenger Berücksichtigung wildbiologischer Gegenenheiten muss in erfahrene wildliebende Hände gelegt und darf nicht forstwirtschaftlichen und politischen Interessen untergeordnet werden. Wild und Wald sind untrennbar miteinander verbunden. Wer anderes versucht, hat nichts von Naturverständnis mitbekommen.
Ein weiterer Beweis, dass Kaniber, genauso wie Söder, Aiwanger und Klöckner, unter dem Einfluss der Bauernlobby stehen. Sie alle eint, dass sie wohl sogar ihre eigene Grossmutter verkaufen würden, um weiterhin an der Macht zu bleiben. Tier- und Naturschutz interessiert keinen von denen. Da hilft nur eins: Bei den nächsten Wahlen abstrafen. Andernfalls wird nicht nur das Leid des Rotwilds, sondern aller jagdbaren Wildtiere und -vögel einschließlich Nutztiere weitergehen. Mich wundert immer, wie sich solche Menschen überhaupt morgens noch im Spiegel anschauen können.
Wenn denn Frau Dr. Christine Miller künftig Wildtierschutzbeauftragte der Bayerischen Staatsregierung sein sollte, dürften sich die geäußerten Befürchtungen erledigt haben. Hoffentlich ein Gewinn für das Rotwild in Bayern – und nicht nur für das Rotwild.
… sofern es sich bei der Meldung im Newsletter vom 01. (!) April nicht um einen Aprilscherz gehandelt haben sollte.?