09. Mai 2025, 17:32 Christine Miller
EU-Entscheidung: Schutzstatus Wolf geändert – Was bedeutet das?
Die Medien berichten heute landauf, landab: Der Schutzstatus des Wolfes wurde von „streng geschützt“ auf „geschützt“ herabgestuft. Unabhängig von den Grundlagen für diese Entscheidung (die nach Ansicht vieler Fachleute überfällig war), bleiben doch Fragen, was das nun konkret zu bedeuten hat.
Die Schutzkategorien „streng geschützt“ und „geschützt“ kommen aus der Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie (kurz: FFH-RL). In den verschiedenen Anhängen zu dieser Richtlinie werden Arten gelistet, die in den jeweiligen Schutzkategorien einsortiert werden. Neben den Arten-Listen gibt es dann auch noch Listen von geschützten und gefährdeten Lebensraumtypen. Praktisch müssen die Vorgaben aus der FFH-Richtlinie von den EU-Mitgliedsstaaten jeweils in entsprechende Landesgesetze eingetütet werden. Aber auch unabhängig davon müssen sich nun Behörden an diese neue Bewertung und Einteilung halten.
Nach der aktuellen Anpassung hat nun der Wolf den gleichen Schutzstatus wie der Goldschakal und die Gams, der Steinbock oder der Baummarder und Iltis. Diese Arten können bejagt werden – jedoch nur unter bestimmten Vorgaben. Zum Beispiel dürfen sie nicht aus ihrem potentiellen natürlichen Verbreitungsgebiet ausgeschlossen werden (wie es zum Beispiel bei der Gams in den Vorbergen der bayerischen oder österreichischen Alpen oft geschieht), und die Art als Ganzes muss einen günstigen Erhaltungszustand haben.
Die Meldungen über den Zustand der jeweiligen Art erfolgen nach biogeographischen Regionen. Zum Beispiel meldet Deutschland, dass der Erhaltungszustand der Art Gams günstig ist, weil die alpine Region (Bayern) das so meldet, und in der kontinentalen Region (hier melden Baden-Württemberg und wieder Bayern) wird das gleiche gesagt. Dass an diesen Meldungen durchaus gezweifelt werden kann, steht auf einem anderen Blatt.
Andererseits wird der Erhaltungszustand des Wolfs (als Art) in der kontinentalen und in der alpinen Region Deutschlands und Österreichs als ungünstig und unzureichend gemeldet, weil eben nicht jedes Rasterquadrat, in dem potentiell Wölfe leben könnten, auch tatsächlich besiedelt ist. Wer meint, hier unterschiedliche Maßstäbe zu erkennen, hat vermutlich recht.
Aber neben der Frage nach dem Erhaltungszustand in einem Land muss auch betrachtet werden, wie „Pläne und Projekte“ (ein Begriff aus der EU-Fachsprache) auf einzelne Populationen wirken können. So muss vor einem Abschussbescheid oder gar einem Bescheid oder einer Verordnung über eine Freihaltungszone geprüft werden, was solche Vorhaben mit der einzelnen betroffenen POPULATION machen: Ist diese betroffene Population in einem günstigen Erhaltungszustand, und wird durch Abschuss oder Schonzeitaufhebung oder Freihaltung dieser günstige Erhaltungszustand negativ beeinträchtigt?
Und genau hier liegt der große Unterschied zwischen den Arten Wolf und Goldschakal einerseits und Gams und Steinwild andererseits. Alle vier Arten haben den gleichen Schutzstatus. Aber beim Umgang mit Gams und Steinwild ist man in Deutschland und Österreich gar nicht zimperlich. Nehmen wir den Steinbock: Der wird in Österreich durchaus bejagt, obwohl er nicht überall vorkommt, wo er vorkommen könnte. Und ebenso bei der Gams! Hier ist das Geschrei groß, wenn die in tieferen Waldlagen siedelt. Obwohl das ihr ganz natürliches Verbreitungsgebiet ist, gibt es Abschusspläne und Sonderbescheide, dies zu verhindern!
Das korrekte Vorgehen bei allen Arten des Anhangs V wäre, zuerst zu klären, ob die tatsächliche Population a) in einem günstigen Erhaltungszustand ist und b) ob sich dieser durch den menschlichen Eingriff verschlechtern würde. Auch hier kann man das am Beispiel Steinbock gut erklären: Eine Population sitzt in der Regel auf einem Gebirgsstock; diese Populationen oder Kolonien lassen sich relativ gut abgrenzen. Es kann durchaus mal ein Bock zwischen zwei Populationen wandern, deshalb bleiben die einzelnen Populationen doch unabhängige Populationen. Steinböcke haben einmal im Jahr Junge, und die Reproduktionsrate und der jährliche Zuwachs lassen sich gut schätzen – sie sind aber relativ gering, nur ein Kitz pro Geiß und nicht alle Geißen setzen tatsächlich ein Kitz. Eine ähnliche Situation bei der Gams.
Ganz anders dagegen beim Wolf: Verschiedene Wolfsrudel und Einzeltiere bilden zusammen eine Population. Aber wie goß und weiträumig sind diese Populationen? Vermutlich bilden die schweizerische Wölfe eine gemeinsame Population. Aber vielleicht gehören zu dieser Population auch die Vorarlberger und Tiroler Wölfe, wahrscheinlich auch die spärlichen bayerischen Alpenwölfe. Auch bei den Wölfen lässt sich der jährliche Zuwachs dieser Population gut schätzen: Bis zu 2 Fähen pro Rudel können 2-6 Welpen haben. Bei einer Bejagung dürfte jetzt theoretisch nicht mehr zum Abschuss freigegeben werden als der geschätzte Zuwachs, wahrscheinlich eher weniger, weil ja noch Lebensräume frei sind, die von „überzähligen“ Wölfen besiedeln werden können.
Bei den Gams und beim Steinwild ist man bisher in diesen Fragen überhaupt nicht zimperlich gewesen. Da wird in manchen Regionen auf den Populationen herumgehackt, als gäbe es kein Morgen. Regelmäßige Zählungen und eine biologisch sinnvolle Abgrenzung der einzelnen Populationen (bei beiden Arten etwa bergstockweise) hat sich aber noch nicht überall bei der Jagdplanung durchgesetzt.
Beim Wolf müssen wir erst noch verbindlich definieren, was die von Jagd und Eingriffen betroffene Population ist. Die ist sicher deutlich, deutlich weiter gefasst als bei Gams und Steinbock. Und auch der Zuwachs ist deutlich größer als bei den Gams und Steinbock, wo ein Weibchen immer nur ein Kitz hat. Trotzdem wird bei den deutlich empfindlicheren Gams und Steinwild gern mal zur kräftigen Jagdkeule gegriffen – ohne großes Geschrei vom Naturschutz (außer uns!). Während beim wesentlich „resilienteren“ Wolf oder Goldschakal um jedes Tier erbittert gestritten wird. Tierschutzaspekte, zum Beispiel den Schutz von Elterntieren, lasse ich hier mal außer Acht, weil die bei allen Arten zu berücksichtigen sind. Die Frage nach natürlichen Sozialstrukturen, ob Wolf, ob Gams, ob Schakal oder Steinbock, betreffen nicht nur den Tierschutz, sondern tragen auch dazu zu der Entscheidung der Frage bei, ob der günstige Erhaltungszustand durch gestörte Populationsstrukturen beeinträchtigt wird. Mit all diesen Fragen, Erhebungen und Abwägungen muss man sich deshalb in Zukunft beim Wolf beschäftigen – aber genauso bei Gams und Steinbock.
Davon bleibt allerdings die Frage unberührt, was zu tun ist, wenn es zu Konflikten mit unterschiedlichen Schutzgütern kommt. Auch hier, ist man bei der Gams recht großzügig, da genügt bereits eine Möglichkeit, dass ein forstwirtschaftliches (Phantasie-) Ziel nicht erreicht werden könnte (zum Beispiel nicht ausreichend Manna-Esche im Tiroler Bergwald), um rigoros einzugreifen. Gegen diese Praxis gehen wir ja vor. Beim Wolf wird diskutiert, was passiert, wenn alpine Weideflächen nicht mehr bestoßen werden und sich dieser Lebensraum dann mit all seinen Arten verändert. Aber theoretisch könnten Wolf und Schakal auch andere geschützte Tierarten in ihrem Erhaltungszustand bedrohen. Derartige Konflikte müssen einfach mit Fakten belegt werden und dann kann eine entsprechende und fachliche Abwägung und Entscheidung erfolgen.
Aber noch scheint man diese fachlichen Abwägungen mit sehr unterschiedlichen Maßstäben zu messen und zu beurteilen. Der Wolf ist als Art in Europa nicht mehr bedroht. Aber wie es den Populationen geht, das muss jetzt mit Sachverstand beurteilt werden. Das ist die kommenden Aufgabe, die aber vielleicht aus politischen Gründen in die eine oder andere Richtung beeinflusst werden wird.
Die Mitteilung der EU finden Sie unter diesem Link:
Bildquelle: Wölfe, Wolf