18. Mai 2022, 06:32 office@wildes-bayern.de
Position: Keine Frühjahrsbejagung beim Schalenwild – keine Verschiebung der Jagdzeiten
Immer wieder tauchen derzeit Vorstöße auf, die Jagd- und Schonzeiten beim Schalenwild zu verändern. Eine Grundtendenz ist dabei, früher mit dem Jagen zu beginnen, zum Beispiel Mitte April. Wildes Bayern spricht sich dezidiert gegen eine weitere Verschiebung und Ausdehnung der Jagdzeiten im Frühjahr aus. Es gibt eine Reihe von Gründen, die gegen eine frühzeitige Jagdausübung bei Rehwild und auch den anderen Schalenwildarten sprechen: physiologische Umstellung, erhöhter Stress durch Störungen, große Verwechslungsgefahr von trächtigen und nicht trächtigen (einjährigen) Geißen und Tieren. Negative Effekte bei Bejagung auf Freiflächen (Stress und Rückzug der Tiere in den Wald), erhöhter Energiebedarf durch Stress, hohes Störungspotential bei Jagd im Wald.
Konkret haben wir folgende Position:
- Den Vorstoß, die Jagd im Frühjahr früher beginnen zu lassen, lehnen wir aus fachlicher und jagdpraktischer Sicht ab. Fakt ist, dass die hormonellen Zyklen unserer Schalenwildarten weitgehend lichtgesteuert sind, mit einer gewissen Variabilität, die auf Temperaturentwicklungen eingehen kann, jedoch in sehr engen Grenzen. Ebenso ist es eine Tatsache, dass im April die Umstellung des Winterstoffwechsels auf den Sommerstoffwechsel erfolgt und das Wild gezwungen ist, risikoreichere Strategien der Äsungswahl zu ergreifen. Für Rehböcke kommt hinzu, dass sie aufgrund der hormonellen Umstellung zu einem agressiveren Revierverhalten einen höheren Stresspegel im Körper haben, der sie ausgesprochen störungsempfindlich macht.
- Eines der Standardargumente aus Forst-Kreisen ist die Aussage, die bisherigen Jagdzeiten seien unnötig kompliziert. Dies ist für uns fachlich und wildbiologisch nicht nachvollziehbar. Die bisherigen Jagdzeiten berücksichtigen das arteigene Verhalten der verschiedenen Sozialklassen. So beginnt Ende August die aktive Führung der Rehgeißen, und im September lassen sich die Geiß-Kitz-Gruppen sehen, ansprechen und bei Bedarf erlegen. Die Unterscheidung von einjährigem und mehrjährigem Wild, führenden Muttertieren und männlichen und weiblichen Tieren sollte zu den Kernkompetenzen von Jägern gehören. Wir erachten daher die Erfordernisse, diese Gruppen zu unterscheiden und sich zu informieren, ob sie ggf. bejagt werden dürfen, nicht als unzumutbare Komplexität bei der Jagdausübung.
- Die Sommermonate sind aus biologischen Gründen Zeiten, in denen bei fast jeder Schalenwildart nur geringe Strecken erzielt werden. Hier möglicherweise eine “Ruhephase” einzuplanen, sollte nicht als Alibi für einen frühzeitigen Jagdbeginn missbraucht werden, zumal die sehr störungsarme Blattjagd aufs Rehwild sicher nicht diskutierbar ist. Wir sehen es als Taschenspielertrick an, wenn die Monate, in denen naturgemäß wenig erlegt wird, aus der Jagdzeit herausgerechnet werden, und damit eine Verlängerungen im Frühjahr und im Winter, d. h. Phasen mit hohen Strecken (auch wegen der Drückjagden im Herbst/Winter) und hohem Störungspotential (Winter und Frühling), zu begründen.
- Die Bejagung der Schalenwildarten bis 15. Januar, bzw. 31. Januar missachtet die allseits bekannten und publizierten Erkenntnisse zur physiologischen Umstellung des Stoffwechsels in die winterliche Ruhephase. Bei Rot-, Reh, Gams, Dam-, Sikawild ist der Taktgeber die Tageslänge, weshalb die wildbiologisch begründete Forderung seit langem ist, die Bejagung auf diese Wildarten mit Mitte Dezember – allerspätestens aber Ende Dezember – zu beenden. Schalenwildbejagung im Januar ist aus wildbiologischer und jagdpraktischer Sicht und aus Tierschutzgründen strikt abzulehnen. Eine Forderung, die Jagdzeiten früher zu beenden und später beginnen zu lassen, würde diesen Überlegungen Rechnung tragen.
- Kein vorzeitiges Jagdende bei Rehböcken: Diese Forderung nur für sich genommen führt nicht zu einer Verbesserung des Wildtiermanagements beim Rehwild. Begleitende Bestimmungen, dass nur Rehböcke mit Gehörn erlegt werden dürften, könnten die Dokumentation der Strecken erleichtern – und zu einem gewissenhafteren Ansprechen zwingen. Derartige Vorstöße bleiben aber unglaubwürdig, wenn nicht wirklich eine sehr stringente Auswertung aller erlegten Tiere, auch der weiblichen, erfolgt und diese in ausführlichen Streckenstatistiken zusammengetragen und fachlich ausgewertet werden. Eine derartige Forderung, die auch zu einer Belebung der Hegeschauen führen würde, wäre dringend erforderlich. Sie scheinen aber in den bisherigen Überlegungen nicht auf.
- Die Frühjahrsbejagung von Rot-Schmaltieren ab 1. Mai ist jagdpraktisch und wildbiologisch kontraproduktiv. Auch wenn gelegentlich erfahrene Jäger in einem Revier tatsächlich die kurzzeitig abgeschlagenen Schmaltiere erkennen und dann erlegen können, wird das bei einer derart generellen Regelung die Ausnahme sein. Es wird die vielfach dokumentierten und publizierten Auswirkungen auf das Verhalten der Alttiere haben und die Bejagung von Kahlwild weiter erschweren. Eine solche Forderung ist aus fachlicher Sicht abzulehnen. Dies gilt auch für die entsprechenden Forderungen bei Sika- und Damwild.
- Die Frühjahrsbejagung von Schmalrehen und Böcken ab Mitte April ist aus wildbiologischer und jagdpraktischer Sicht ebenfalls abzulehnen. Sie dient nicht der Schadensprophylaxe , da besonders beim frühzeitigen Bockabschuss eine Sogwirkung auf leer werdende Territorien auftritt. Das hungrige Wild hat bei erhöhten Stresswerten (s.o.) zudem einen erhöhten Äsungsbedarf, den es dann eher in der Deckung (Wald) zu stillen versucht. Bei Schmalrehen ist Mitte April die Verwechslungsgefahr mit jungen oder schlanken trächtigen Geißen sehr hoch. Das Wildpret von irrtümlich erlegten hochträchtigen Rehen ist lebensmittelhygienisch aufgrund der Hormonbelastung ggf. gesundheitsgefährdend und dürfte nicht in Verkehr gebracht werden. Daher stehen hier auch Straftatbestände (Lebensmittelrecht, Tierschutzrecht) im Raum.
- Die Bejagung von Rehgeißen und Kitzen bereits ab 1. August ist aus jagdpraktischer und wildbiologischer Sicht nicht schlüssig. Die Mehrzahl der Geißen führt das Kitz, bzw. die Kitze nicht aktiv, sondern besucht sie nur in Abständen an den Liege- und „Spielplätzen“. Die Gefahr, eine führende Geiß daher irrtümlich als nicht-führend anzusprechen, ist groß und kann zur Erlegung der führenden Geiß (Straftatbestand) führen. Ein Kitz Anfang August dürfte zudem im Hinblick auf das sehr geringe Gewicht noch keinen besonderen Wert als nachhaltiges Lebensmittel haben. Wir bezweifeln daher, dass der Abschuss von Kitzen zu dieser frühen Zeit durch vernünftige Gründe gedeckt ist, ganz abgesehen davon, dass das Hauptargument der Jägerschaft, nachhaltige Lebensmittel zu gewinnen, konterkariert wird.
Vorschläge zur Änderung der Jagdzeiten, wie sie aktuell im Raum stehen und oben angesprochen sind, halten wir für wildbiologisch und jagdpraktisch nicht zielführend. Sie bergen die Gefahr in sich, die Wildschadenssituation zu verschärfen, Fehlabschüsse mit allen rechtlichen Konsequenzen zu erhöhen, die Bejagbarkeit der genannten Schalenwildarten zu verringern und tierschutzwidrige Abschüsse und Nachstellungen zu verursachen. Eine Notwendigkeit zu Verschiebung von Jagdzeiten sehen wir aus wildbiologischer und jagdpraktischer Sicht nicht. Eine generelle Verkürzung der Jagdzeit und dabei eine Harmonisierung der Jagdzeiten der Schalenwildarten wird seit Jahren von Wissenschaftlern, Experten und Praktikern gefordert. Dies kann allerdings erfolgen, ohne nicht zielführende und wildbiologisch kontraproduktive Verkürzungen bestehender Schonzeiten zu fordern.
Bildquelle: (c)Wildes Bayern - Monika Baudrexl
Danke Christl Miller und Deinem Team für diese fachlich fundierte Ausarbeitung, die belegt, dass Verschiebungen der Jagdzeiten in großen Teilen kontraproduktiv für Wald und Wild wären.
Wirklich positiv zu bewerten wäre die Verkürzung der bisherigen Jagdzeiten im Januar, das steht außer Zweifel und wird schon lange von Wildbiologen gefordert.
Es ist dringend an der Zeit, dass diese Wildbiologen, betroffene Waldbauern, Waldnutzer, Förster und kompetente Jägerschaft in Augenhöhe diskutieren und für den Wald und das Wild das Wort ergreifen. Ich denke, dass Staatsministerin Michaela Kaniber hier ein offenes Ohr beweisen wird.
Herzliche Grüße aus Bischofswiesen und Vergelt’s Gott!
Mit einem ehrlichen Waidmannsheil
Ludwig Fegg
Sehr gut! Keine wild-schädliche Verlängerung der Jagdzeiten auf Rehwild! Wild vor Wald!! Allenfalls wild und Wald. Das gebietet uns schon der Tierschutz.
Was mir dazu hier im Bergwald noch einfällt ist, dass eine Vorverschiebung der Jagdzeiten in den April hinein eine zusätzliche Störung für das Auerwild darstellen würde. Unnötige Beunruhigung während der Balzzeit und natürlich auch sämtlicher Schalenwildarten, die in dieser Zeit hochbeschlagen sind und Ruhe brauchen.
Schlimm und wichtig zu ändern ist, dass in den sog. Sanierungsgebieten und Sanierungsflächen der BaySF die jagdliche Beunruhigung der Raufußhühner während dieser Zeiten gang und gäbe ist.