„Aus naturschützerischer Sicht sollten wir mehr Rothirsche zulassen.“ Das ist ein typischer Satz des Landschaftsökologen Prof. Dr. Johannes Kamp, der sich für die Wiederkehr großer Pflanzenfresser in unsere Landschaft einsetzt. Er hat hoch interessante Erkenntnisse über die Rolle von Rothirsch, Wisent und anderen Arten für unsere Natur und unsere Evolution. Zuletzt sprach die TAZ mit ihm darüber (Link s. u.)
„Die großen Pflanzenfresser prägten viele Millionen Jahre lang die Ökosysteme an Land. Viele starben aus, als der Mensch sich global ausbreitete. Welche dramatischen Folgen das für die Ökosysteme hatte, ist nicht vollständig geklärt“, schreibt zum Beispiel die Universität Göttingen in einer Pressemitteilung über ein Forschungsprojekt von Prof. Kamp. Darin berichtet sie, wie ein internationales Team unter der Leitung von Forschenden der Universitäten Göttingen und Aarhus (Dänemark) mit einer Meta-Analyse über sechs Kontinente hinweg gezeigt hat, dass Schutz- und Wiederherstellungsmaßnahmen große Pflanzenfresser einbeziehen sollten – auch, um Ökosysteme widerstandsfähiger gegen den Klimawandel zu machen. Die Forschenden trugen Daten von 279 Studien aus Afrika, Asien, Australien, Europa sowie Nord- und Südamerika zusammen. Es handelte sich dabei vor allem um sogenannte Exclosure-Studien. Hierbei zäunen Forschende Teile eines Untersuchungsgebiets ein, um zu verhindern, dass große Tiere eindringen. Durch den Vergleich von Bereichen mit und ohne Megafauna lässt sich dann beurteilen, wie die Tiere das Ökosystem verändern. Meta-Analysen gelten als besonders aussagekräftig, denn sie greifen auf große Datenbestände zurück und ermöglichen Schlussfolgerungen über einen lokalen Kontext hinaus.
Wie sich zeigte, prägen große Pflanzenfresser ein breites Spektrum ökologisch wichtiger Parameter: Sie verschieben Nährstoffe zwischen den Pflanzen und dem Boden, fördern eine halboffene bis offene Vegetation wie in Savannen oder Steppen, regulieren die Populationsgrößen kleinerer Tiere und haben Einfluss auf die Zusammensetzung von Tier- und Pflanzenarten. Zudem schaffen sie strukturelle Unterschiede in der Vegetation indem sie pflanzliche Biomasse fressen, holzige Pflanzen zerbrechen und kleinere Pflanzen zertrampeln. Die Körpergröße spielt dabei eine entscheidende Rolle, fanden die Forschenden heraus: Pflanzenfresser-Gemeinschaften mit größeren Arten erhöhen die Vielfalt der Pflanzenarten eher, während Gemeinschaften mit kleineren Arten sie verringern.
Die ökologische Bedeutung großer Pflanzenfresser heißt im Umkehrschluss, dass mit ihnen auch wichtige Funktionen des Ökosystems verlorengehen. „In den meisten Schutzgebieten fehlen große Pflanzenfresser. Ihre Wiederansiedlung könnte diese Gebiete dynamischer gestalten und an Störungen gewöhnen“, sagt ein Wissenschaftler der Studie und fährt fort: „Strukturell vielfältige Ökosysteme bieten Tieren Rückzugsorte, etwa bei extremen Wetterereignissen, und ökologische Nischen für verschiedene Arten. Das kann verhindern, dass einzelne oder wenige Arten dominieren. Stattdessen können Arten mit ähnlichen ökologischen Ansprüchen koexistieren. Das macht Ökosysteme widerstandsfähiger, auch gegen die Folgen des Klimawandels.“
Prof. Dr. Johannes Kamp von der Abteilung Naturschutzbiologie der Universität Göttingen war an der Studie beteiligt. Er betont: „Angesichts der enormen Bedeutung großer Pflanzenfresser ist es zum Schutz unserer Biosphäre entscheidend, die wenigen verbliebenen Arten zu schützen. Auch eine angepasste Beweidung durch Haustiere hat positive Effekte auf die biologische Vielfalt und Ökosystemfunktionen.“
Zur Originalveröffentlichung dieser Studie kommt Ihr hier
Den Artikel über Dr. Johannes Kamp und die Großherbivoren in der TAZ findet Ihr hier