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Donnerstag, 22. Juni 2023

22. Juni 2023, 14:10    Webmaster

UPDATE: Das sagt das Ministerium ** Haarsträubende Rotwild-Pläne aus Baden-Württemberg


UPDATE 22.6.2023

Auf die Ankündigung von Minister Peter Hauk, die Rotwildgebiete in Baden-Württemberg nicht aufzulösen und statt dessen eher Wild “zu verbringen”, haben wir eine detaillierte Anfrage ans Ministerium gerichtet. Denn wie soll das bitte in der Praxis aussehen? Ier-Hirsche am einen Brunftplatz wegfangen und am anderen aussetzen? Die hormonell hoch sensiblen Alttiere kurz vor der Brunft in einem wildfremden Rudel neu ansiedeln? Oder soll es künftig, wie früher in der Landwirtschaft beim Stier üblich, einen “Dorfhirsch” geben, der zur Begattung aller brünstigen Weibchen herangezogen wird?
 Also fragten wir zum Beispiel, zu welchem Zeitpunkt vor der Brunft das Wild gefangen und “verbracht” werden soll, welche Geschlechts-, Alters- und Sozialklassen dazu ins Auge gefasst worden sind, oder ob weibliche Stücke auf die Reise geschickt werden, die aber dann am neuen Ort erstmal ihren Östrus im neuen Sozialverband synchronisieren müssen. 
Antwort des Ministeriums: “Auf Ihre detaillierten Fragen, die sich lediglich auf eine Möglichkeit beziehen, kann … zum jetzigen Zeitpunkt nicht eingegangen werden.” Statt dessen wurden Zitate und andere Inhalte aus der Pressemitteilung wiederholt (schade um die Zeit des Pressesprechers). Die einzige konkrete Aussage, die wir nicht schon kannten, war: “Zur Verbesserung der genetischen Ausstattung in den Rotwildgebieten Odenwald und Adelegg soll die Zusammenarbeit mit den Ländern Hessen, Bayern und Vorarlberg, in denen angrenzende Rotwildvorkommen existieren, intensiviert werden.”
Leider existiert zum Beispiel in der Adelegg gar kein angrenzendes Rotwildvorkommen – in der rotwildfreien bayerischen Kürnach herrscht nämlich Abschussgebot.
Für uns klingt das alles äußerst wenig durchdacht. Minister Hauk hat den Ball an seine Minister Kollegin Kaniber weitergespielt (in die entgegengesetzte Richtung zum Tor). Mal schauen, wie sie diesen Pass verwandeln wird. Immerhin ist bei uns in wenigen Monaten Landtagswahl! Da sollte man schon mehr bieten als Nebelkerzen, Vertröstungen und unausgegorene “Ideen”. Aber angesichts dieser politischen Wetterlage darf man sich für den groß angekündigten “Tag des Rotwilds” am 15. Juli in Bad Orb wohl leider kaum Hoffnungen machen.
Für unser Rotwild sind diese Pseudo-Aktivitäten und politischen Verleit-Fährten ein dramatischer Verlust, denn seine Uhr tickt. Die Ergebnisse der noch nicht veröffentlichen FVA-Genetikstudie, so sickert mittlerweile durch, sind niederschmetternd.

Ursprüngliche Meldung vom 9. Juni 2023

Leider erreichen uns nicht nur aus Bayern, sondern auch aus Baden-Württemberg Nachrichten, bei denen man den Kopf schütteln möchte, bis der Arzt kommt. Denn ähnlich wie beim Auerwild in Bayern setzt auch unser Nachbarland beim Rotwild einfach mal auf Zeit, wenn es darum geht, der zunehmenden Inzucht zu begegnen. Ganz zu schweigen von der Qualität der “fachlichen” Vorschläge. So hat Baden-Württembergs Minister für Ländlichen Raum, Peter Hauk, CDU, mitgeteilt, dass er nicht plant, die Rotwildgebiete im Land aufzulösen, schließlich hätten sie sich bewährt. Statt dessen will er zur genetischen Auffrischung der Populationen offenbar jetzt Tiertransporte einsetzen.

Zur Erinnerung: Die Rotwildgebiete in Baden-Württemberg umfassen gerade mal 4 Prozent der Landesfläche.  Schon vor rund 15 Jahren hatte die Forstliche Versuchsanstalt in einer Genetikstudie festgestellt, dass das Rotwild mittelfristig an Inzuchtschäden leiden wird: “Der genetische Austausch zwischen den Rotwildgebieten Baden-Württembergs wurde von der FVA zwischen 2004 und 2007 zum ersten Mal untersucht und als vorhanden, aber mittelfristig nicht ausreichend eingestuft”, heißt es aktuell in einer Projektbeschreibung zum “Rotwild in Baden-Württemberg”.

Jetzt wurde diese Frage nochmal überprüft. Was heraus kam, dazu berief das Ministerium am 6. Juni sehr kurzfristig ein “Rotwildsymposium” ein – um anschließend zu verkünden, dass man den Handlungsbedarf zwar sehe und diesem mit einem “Bündel an Maßnahmen” begegnen wolle, aber eigentlich doch an der bestehenden Situation festhalten will.

Und so kommt man mit Vorschlägen, die wohl niemand wollen kann: “Eine der größten Herausforderungen für ein dicht besiedeltes Land wie Baden-Württemberg, mit hoher Infrastrukturdichte, ist einen genetischen Austausch zwischen den Rotwildgebieten zu erreichen. Dies kann zum Beispiel gelingen, indem Rotwild zwischen den Gebieten verbracht wird.”

Bei uns vom Wilden Bayern schrillen da die Alarmglocken, denn Rotwild reagiert äußerst empfindlich auf Fang, Narkose und anschließendes Wiederauslassen. Nicht selten kommt es bei solchen Projekten zu Todesfällen unter den betroffenen Tieren. Aber Minister Hauk sieht offenbar keine andere Möglichkeit, denn: “Die Auflösung der Rotwildgebiete in Baden-Württemberg wäre keine Lösung, weil sich damit das Problem der genetischen Verarmung nicht lösen lässt” – glaubt er wirklich, was er da sagt? Seine persönliche Wahrheit steckt wohl vielmehr im nächsten Satz: “Zudem wären die zu erwartenden Schäden und Ausfälle in Feld und Wald, vor dem Hintergrund der Ernährungssicherung und dem Aufbau klimaresilienter Mischwälder, den Menschen aber auch den Landwirten und Waldbesitzern in Baden-Württemberg nicht zuzumuten.“ Und deshalb will man zur Bekämpfung der Inzucht beim Rotwild auch das Schadensmonitoring erhalten und sicherstellen, dass in den Hegegemeinschaften die Grundeigentümer mit am Tisch sitzen. Das nennen wir aber mal einen Doppelwumms!

Die vollständige Pressemeldung zum Rotwildsymposium könnt Ihr hier als pdf herunterladen…

Hier findet Ihr die Stellungnahme des Landesjagdverbands Baden-Württemberg zum Thema

Und das hier sagt die Deutsche Wildtierstiftung zum Thema:

Wappentier Baden-Württembergs steht am Beginn eines Aussterbeprozesses
Deutsche Wildtier Stiftung: Landespolitik muss endlich handeln

(…) Bei der aktuellen Präsentation der Ergebnisse des Projekts “Rotwild in Baden- Württemberg” vom Ministerium für Ernährung, Ländlichen Raum und Verbraucherschutz am 6. Juni 2023 in Karlsruhe wurde nun deutlich, dass die Isolation der Tierart bereits stark negative Auswirkungen auf ihre genetische Vielfalt hat: Innerhalb der wenigen Populationen gehen durch Inzucht immer mehr genetische Anlagen verloren und zwischen den Populationen gibt es nur einen sehr geringen Austausch. Die Lage ist so dramatisch, dass Populationsgenetiker von dem Beginn eines Aussterbeprozesses sprechen. Umso verwunderlicher sind die ersten Reaktionen des zuständigen Forstministers Peter Hauk auf die eindeutigen Ergebnisse seiner hauseigenen Forschungsanstalt: In einer Pressemeldung schlug er als einzige konkrete Maßnahme das künstliche Verbringen von Rotwild zwischen den Gebieten vor.

“Die Reaktion des Ministers ist erschreckend. Sie zeigt, wie wenig Sachkenntnis bei denen vorhanden ist, in deren Händen die Zukunft des Rotwilds in Baden-Württemberg liegt”, kritisiert Dr. Andreas Kinser, Leiter Natur- und Artenschutz der Deutschen Wildtier Stiftung. Das Umsiedeln einzelner Individuen in genetisch verarmte Populationen wird von Wildbiologen abgelehnt, weil niemand weiß, welche Gene man so verbreitet und weil es das Problem nachhaltig nicht löst. Sie plädieren stattdessen für eine Stärkung des Lebensraumverbundes und die Auflösung der sogenannten Rotwildbezirke, wie sie in Baden-Württemberg seit 1958 existieren.

Das Festhalten an den Rotwildbezirken begründet der Minister indes mit der Ernährungssicherung – also dem Verhindern von Rotwildschaden in Getreidefeldern – und dem Aufbau klimafitter Mischwälder. Dabei ignoriert er freilich, dass auch in den Bundesländern, in denen sich das Rotwild wie jede andere Tierart auch seinen Lebensraum selbst suchen darf, die Menschen zum Glück ebenso wenig hungern müssen wie in Baden-Württemberg; und auch dort erfolgreich Waldumbau betrieben wird.

Die Deutsche Wildtier Stiftung hat sich in den Jahren 2019 und 2020 mit einer Kampagne für mehr Lebensraum für den Rothirsch in Baden-Württemberg eingesetzt und bei einer Online-Petition über 40.000 Unterschriften gesammelt. Vor dem Hintergrund der nun vorgestellten Ergebnisse fordert die Stiftung erneut, kurzfristig außerhalb der bestehenden Rotwildgebiete grundsätzlich alle männlichen, mindestens 1-jährigen Rothirsche zu schonen, damit ein Genfluss zwischen den Populationen wieder ermöglicht wird. “Mittelfristig muss es in Baden-Württemberg endlich eine klare politische Agenda für mehr Rotwild-Lebensraum geben”, so Andreas Kinser

Ein Positionspapier der Deutschen Wildtier Stiftung zur Weiterentwicklung des Rotwildmanagements in Baden-Württemberg finden Sie hier: https://bit.ly/Rotwild_BaWue.

 

 




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