Der Fall des 11-jährigen Mädchens aus Kambodscha, das an einer Infektion mit dem Vogelgrippe Virus verstarb, ist vermutlich weniger alarmierend als bisher angenommen. Das Kind war mit einer seltenen, in Südost-Asien endemischen Virus Variante infiziert worden. Der letzte Fall, in der Region, bei dem der Erreger von Vögeln auf den Menschen übersprang, ist zehn Jahre her. Nun wird intensiv untersucht, was zu der Infektion des Mädchens geführt hat.
Die aktuelle Welle der Vogelgrippe rauscht ungestüm durch Europa. Doch außer Geflügelhaltern scheint sie niemand wirklich zu beunruhigen. Dabei hat sich das Seuchengeschehen in den vergangenen zwei Jahren in beunruhigender Weise entwickelt. Früher brachten vor allem die Seevögel im Herbstzug neue Grippeerreger in ihre Wintergebiete. Das Seuchengeschehen blieb meist auf die Küstenregionen beschränkt und verschwand zum Ende des Winters wieder. Doch der Ausbruch, der im Herbst 2021 begann, ist der weltweit bisher größte Seuchenzug mit 2520 Ausbruchsherden und mehr als 50 Millionen gekeulten Vögeln in Nutztierhaltungen allein in der EU und England. Allein in diesem jungen Jahr wurden in der EU und England 400 infizierte Wildvögel nachgewiesen.
Die Veterinäre und Forscher sind vor allem deshalb besorgt, weil dieser Seuchenzug nicht verebbte. Im Sommer 2022 blieb das Vogelgrippe-Virus weiter in Europas Küsten- und Binnengewässern aktiv. Und es sprang von den ziehenden Seevögeln auf Enten und andere Wasservogelarten. Sie sind inzwischen das wichtigste Virus-Reservoir und haben damit ein viel größeres Potential, um auch Hausgeflügel zu infizieren.
Auch wenn nach Corona niemand mehr etwas von Viren hören will, die von Wildtieren auf den Menschen überspringen können, schlummert gerade dieses Risiko in den verschiedenen Virus-Varianten der Vogelgrippe. Aktuell ist der Typ H5N1 (Grippe-Viren setzen sich aus zwei Komponenten zusammen, die je nach Typ nummeriert werden) im Umlauf. Auf Säugetiere kann das Vogelgrippe Virus überspringen, aber nur selten führt es dort zu einer Epidemie. Weil gerade das mit den neuesten Virustyp passiert ist, in einer Nerzfarm in Nordspanien, sind Wissenschaftler in Alarmbereitschaft.
In den ersten fünf Wochen des Jahres 2023 traten in Deutschland bisher 103 Fälle bei Wildvögeln auf (im Dezember 2022 waren es 32), allein in Bayern wurden 11 infizierte Vögel gemeldet. Die Empfehlungen des Friedrich-Löffler-Instituts (FLI), das Tierseuchen erforscht und überwacht sind kritisch zu sehen. Denn wenn das Risiko verringert werden soll, dass das Virus von Wildvögeln auf Geflügel überspringt, heißt das im Umkehrschluss nichts anderes: Kein Freigang mehr für unsere Hühner und Hausenten. Biosicherheit darf nicht auf Kosten des Tierwohl gehen. Hier müssen Veterinärbehörden mal neue Denkwege einschlagen. Sonst droht uns bei der Vogelgrippe bald das gleiche wie bei der ASP!
Bildquelle: (c)Dieter Streitmaier - Ente