Die Inhalte der Waldstrategie 2050 sind heftig umstritten und werden von vielen Verbänden und Institutionen scharf kritisiert. Nun haben sechs Verbände eine gemeinsame Stellungnahme zur Waldstrategie 2050 veröffentlicht.
Bild: (c)privat/Stellungnahme Verbände
Wald mit Wild – Gemeinsame Stellungnahme von Verbänden und Institutionen zur Waldstrategie 2050
Präambel
Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) hat mit Stand vom 16.4.2020 einen Entwurf zum Kapitel Wald / Wild für die Waldstrategie 2050 vorgelegt und zur Diskussion gestellt. Die diese Stellungnahme unterzeichnenden Verbände und Institutionen vertreten die Interessen
Die unterzeichnenden Organisationen zeichnet Fachkompetenz in der Jagdpraxis, im Jagdrecht und der Wildbiologie aus. Das dieses Papier tragende Bündnis spannt den Bogen von beruflich bis zu ehrenamtlich betriebener Jagd.
Für die beteiligten Organisationen ist Kernelement ihres Handelns in Wald und Feldflur ein ganzheitlicher Ansatz: Wald ist mehr als der Produktionsort für Holz. Wir verpflichten uns dem Prinzip der Nachhaltigkeit bei der Nutzung natürlicher Ressourcen und dem Respekt vor Ei-gentum – insbesondere vor dem mit dem Grundeigentum verbundenen Jagdrecht und seiner praktischen Umsetzung im Revierjagdsystem.
Die unterzeichnenden Verbände und Institutionen sehen, ebenso wie das BMEL, Handlungs-bedarf mit Blick auf den Wald in Deutschland und begrüßen die Erarbeitung von Leitplanken zur zukünftigen Waldpolitik im Rahmen einer „Waldstrategie 2050“.
Wir teilen die Auffassung, dass die Jagd eine wichtige Rolle für den Um- und Aufbau zukunftsfähiger Wälder hat. Unser Leitbild ist ein Wald mit Wild. Das Wild ist integraler Bestandteil des Ökosystems Wald und für den Grundeigentümer eine wesentliche Ressource. Ebenso ist Wild auch für die Gesellschaft ein wichtiger lebender Bestandteil der Natur. Daher lehnen wir es ab, die Jagd ausschließlich auf eine dienende Funktion für den Waldbau zu reduzieren. Die Jagd ist eine anerkannte Form der nachhaltigen Nutzung und das Jagdausübungsrecht ist ein eigentumsgleiches Recht, das nicht in einem niederen Rang steht als die Waldnutzung.
Wald und Wild müssen daher in einer Balance stehen, die eine natürliche Verjüngung der Hauptbaumarten des Oberstandes ohne Zaun oder Einzelschutz ermöglicht. Gleichzeitig ha ben die biologischen Bedürfnisse des Wildes nach einer intakten Alters- und Sozialstruktur, nach Ruhe und artgerechter Äsung einen Wert, den es zu schützen und zu fördern gilt. Zu einem fairen Umgang mit unseren wiederkäuenden Schalenwildarten gehört, dass künstlich eingebrachte, seltene Nebenbaumarten in der Regel mit Zäunen oder Einzelschutz gesichert werden müssen. Die Jagd kann in diesem Fall nur unterstützend wirken.
Der Entwurf des Kapitels Wald/ Wild für die Waldstrategie 2050 beginnt mit der Feststellung, dass Wald und Wild in ihrem Lebensraum untrennbar zusammen gehören. Alle folgenden Ausführungen und Handlungsvorschläge sind jedoch von der Haltung gezeichnet, dass die heimischen Wiederkäuer ausschließlich Gegenspieler zu einer natürlichen Waldentwicklung seien. Meint es die Bundesregierung ernst mit „Wald und Wild“, muss diesem Bekenntnis auch die Integration der biologischen Bedürfnisse von Wild in die Bewirtschaftungsstrategien unserer Wälder folgen.
Der Textentwurf unterstellt flächendeckend hohe Schäden durch Wild an der Waldvegetation in Deutschland und sieht ihre Ursache einzig in der Wilddichte. Waldbauliche Fehler wie der Fokus auf die Fichte, die als „Brotbaum der Forstwirtschaft“ jetzt unter Trockenheit und Bor-kenkäferbefall leidet, werden nicht benannt. Ignoriert werden auch die Ergebnisse der Bundeswaldinventur von 2012, nach der auf jedem Hektar bestockter Holzbodenfläche in Deutsch-land durchschnittlich über 4.000 unverbissene (!) Bäume der Verjüngungsphase (20 130 cm) zu finden sind (www.bwi.info). Dies unterstreicht, dass es etliche Regionen in Deutschland gibt, in denen sich – wie es unser Ziel ist – die neue Waldgeneration natürlich verjüngt.
An diesen Standorten ein flächendeckendes, ggf. sogar revierweise verpflichtendes Verbissmo-nitoring zu fordern, ist völlig überflüssig. Ein Verbissmonitoring ist dort eines von mehreren hilfreichen Instrumenten, wo Wildbestände lokal zu hoch sein mögen und wo Waldumbaumaßnahmen mit öffentlichen Mitteln gefördert werden. Vegetationsgutachten müssen künftig nicht nur die Zahl geschädigter Bäume dokumentieren, sondern insbesondere untersuchen, ob genügend Jungbäume unversehrt aufwachsen, damit das angestrebte waldbauliche Ziel erreicht wird.
Waldbau ist vor dem Hintergrund zunehmender gesellschaftlicher Ansprüche und der Klimaveränderung eine anspruchsvolle, komplexe und durch die Zeitdimension herausfordernde Aufgabe. Wälder im Eigentum von Bund, Ländern und Kommunen sollten mit Blick auf forstwirtschaftliche Eingriffe gleichermaßen Labor und Modell für den Waldbau der Zukunft sein. Dies muss einen Umgang mit dem Wild umfassen, der über den Abschuss hinaus geht und Maßnahmen der Lebensraumgestaltung ebenso ergreift wie die der Wildschadensprävention mit jagdlichen und waldbaulichen Mitteln. Um wissenbasiert Eingriffe in den Wildbestand vornehmen zu können und den Wildlebensraum zu verbessern, braucht es Daten u.a. über Lebensraumbewertungen (wie z.B. eine wildökologische Raumplanung). In diesem Sinne sollten Flächen der öffentlichen Hand zukünftig Vorbildcharakter bei der Gestaltung von Wald lebensräumen haben.
Deutschland ist dicht besiedelt und intensiv genutzt. Wälder sind in vielen Regionen wichtige Rückzugsräume für das Wild geworden. Der Waldbau der Zukunft muss (wieder) seiner Verantwortung gerecht werden, die Funktion von Wäldern als Lebensraum für Wildtiere zu stärken. Sowohl die beschriebenen Ziele als auch die Maßnahmen des Textentwurfs für die Waldstrategie 2050 sehen aber den Abschuss von Wildtieren als alleiniges Instrument vor. Eine Betrachtung des Ursachenkomplexes für Wildschäden, etwa durch äsungsarme Waldstrukturen, hohen Freizeit- oder Bejagungsdruck, fehlt. Die unterzeichnenden Verbände und Institutionen sind davon überzeugt, dass eine einseitige Benennung der Jagd als Verantwortungsträger für die Entwicklung zukunftsfähiger Wälder dieser immensen Zukunftsaufgabe nicht angemessen ist.
Die Schaffung von Artenvielfalt muss sich für die Forstwirtschaft lohnen. U.a. sollten die aus Steuergeld finanzierten Fördermittel für die Forstwirtschaft mit ökologischen Kriterien ver knüpft werden. Dazu gehören beispielsweise das Schaffen von Äsungsflächen oder das na-turnahe Gestalten von Waldrändern. Damit würden die Bedürfnisse von Wildtieren zukünftig stärkere Berücksichtigung im Waldbau finden.
Um den vor uns liegenden Aufgaben gerecht zu werden, braucht es ein gemeinsames Vorgehen von Grundeigentümern, Bewirtschaftern und Jagdausübungsberechtigten. Das Denken und Handeln darf sich nicht auf den Wald beschränken, sondern muss das meist landwirtschaftlich genutzte Offenland ebenso umfassen. Denn der Lebensraum vieler Wildtiere um-fasst Wald und Offenland – mit tageszeitlichen und saisonal unterschiedlichen Schwerpunkten. Die Nutzung von Grund und Boden und die Integration der Bedürfnisse der Wildtiere werden nur in einem Ansatz gelingen, der sektorales Denken verlässt und einen räumlichen An-satz verfolgt. In diesem Sinne muss sich auch eine Waldstrategie 2050 mit der Politik zur Entwicklung des gesamten ländlichen Raumes verzahnen.
Es braucht Institutionen, die die Akteure zusammenbringen und Entscheidungsprozesse her-beiführen. Ob sich die vorhandenen Strukturen wie Hegegemeinschaften oder Jagdgenossenschaften für eine Erweiterung ihrer Aufgaben eignen, ist zu prüfen. So können Hegegemein-schaften mit stringenten, modernen Strukturen, die professionell geführt werden die Wildtierpopulationen mit ihren Lebensraum in Einklang bringen und damit ein Schlüssel des Erfolges sein. Die Vermeidung von Wildschäden braucht jedenfalls keine „hoheitlichen Aufsicht“ (Pkt. 3.6), sondern muss von allen Verantwortlichen vor Ort beurteilt und umgesetzt werden. Dies unterstreicht die Bedeutung regionaler Lösungen, die die betroffenen Akteure miteinander verhandeln sollen.
Die Waldstrategie 2050 bietet die Chance für einen Waldbau der Zukunft, der die legitimen Nutzungsinteressen der Waldbesitzer mit gesellschaftlichen Herausforderungen zusammen führt. Dazu gehören nicht allein die Berücksichtigung von Klimaveränderungen, sondern auch die Bedürfnisse der Menschen nach Erholung und die des Natur- und Artenschutzes.
Erhalt und Nutzung des Wildes müssen wesentliche Bestandteile einer innovativen Waldstrategie 2050 sein. Bei deren Erarbeitung stellen die unterzeichnenden Verbände und Institutionen ihr Wissen, ihre wissenschaftlichen Erkenntnisse und ihre praktische Erfahrung gern zur Verfügung.
Stand: 6. Mai 2020
Bildquelle: Wildes_Bayern_Wald_Wild_Stellungnahme.jpg