Tirol will bis 2050 klimaneutral(er) werden – und dafür womöglich Tausende weiterer Windräder bauen, und zwar auf über 1500 Metern Höhe, also auf Bergkämmen oder in Hochtälern.
Dazu gibt es bereits zwei positive Effizienz-Studien, allerdings noch keine Untersuchung, die die Auswirkungen auf die Natur umfassend berücksichtigt. Die Frage, wie sich die Bauvorhaben oben im Gebirge auf geschützte Arten, Lebensräume und Wanderkorridore auswirken, wird in der öffentlichen Debatte bislang ausgeblendet.
Eine Partei im Parlament hat sich die Mühe gemacht, eine Studie über die ökologischen Auswirkungen dieser Pläne einzuholen. Diese hat die Wildbiologin und Wildes Bayern-Vorsitzende Dr. Christine Miller als beeidete und gerichtlich zertifizierte Sachverständige in Österreich verfasst. Sie kommt zu dem Schluss:
„Tirol und insbesondere seine Berglagen weisen eine hohe Biodiversität aus und sind Lebensraum vieler geschützter Arten von nationaler und europaweiter Bedeutung. Hier hat das Land eine besondere Verantwortung für die Vorkommen einer Vielzahl von Arten.“ Die Windkraftpotenzial-Analyse sei fachlich unzureichend, weil sie wesentliche Belange des Natur- und Artenschutzes nicht berücksichtige. Unter diesen Gesichtspunkten sei sie nachzubessern.
Nach ihrer Einschätzung gefährden die Pläne für Windkraftanlagen aber genau die biologische Vielfalt an Amphibien sowie geschützten Säugetierarten, Raufußhühnern, Greifvogelarten oder Insekten, für die das Land Tirol so wichtig sei.
Die Vögel sind sämtlich in der so genannten SPA Richtlinie der EU gelistet und damit streng geschützt: „Nicht nur in den ausgewiesenen SPA-Gebieten, sondern überall in ihren Vorkommensgebieten muss das Land Tirol jegliche Maßnahmen unterlassen, diese Vorkommen negativ zu beeinträchtigen“, schreibt Christine Miller dazu.
Auch die Tiroler Fledermausarten (alle geschützt) würden unter Windkraftanlagen massiv leiden. „Ohne eine Abklärung, in welchen ausgewiesenen Potenzialgebieten auch Konflikte mit den streng geschützten Fledermaus-Arten zu erwarten sind, kann keine Genehmigung des Planungsbeginns erfolgen“, hält Miller dazu fest.
Für Säugetiere wie Gams, Steinbock oder Rotwild sieht sie die Gefahr, dass einzelne Bestände durch den Lebensraumverlust langfristig erlöschen und die Problematik von Wildschäden sich drastisch verschärft wird. „Die Auswirkungen von Baumaßnahmen und den Betrieb von WKA auf diese Arten wurden bisher in den Planungen weder erwähnt noch berücksichtigt.“
Vor allem entlang von Gipfellagen und Plateaus der Gebirgszüge müssten beim Bau von Windparks auch Zugvogelrouten ins Visier genommen werden – so schreibt es das Übereinkommen zum Schutz migrierender Arten (Convention on the Conservation of Migratory Species of Wild Animals; CMS oder kurz „Bonner Konvention“) und die nationale Naturschutzgesetzgebung vor.
Bislang wurden aber weder die Vorkommensgebiete geschützter Arten (Amphibien, Fledermäuse, Vögel, Säugetiere) noch die Zugrouten wandernder Arten (Insekten, Vögel, Fledermäuse) bei der Ausweisung der Windkraft-Ausbaugebieten berücksichtigt.
Das Fazit des Gutachtens ist deshalb ziemlich klar: „Bereits vorab erscheint bei Einbeziehung der naturschutzfachlichen und artenschutzrechtlichen Kriterien der Bau von großen Windkraftanlagen in den sensiblen und biodiversitätsreichen Bergregionen Tirols weder möglich noch wünschenswert noch erforderlich.“
Die Berichterstattung des ORF zu diesem Thema mit einem Link zum Download des gesamten Gutachtens findet Ihr hier
Bildquelle: (Symbolbild) Ben_Kerckx/Pixabay