Blogpost
Dienstag, 14. Oktober 2025

Scrollicon
Ein Hermelin im weißen Winterpelz springt über einer Schneefläche in die Luft
14. Oktober 2025, 10:34    office@wildes-bayern.de

Feiern wir das Wilde nur, wenn es uns vertraut erscheint?


Es gibt Fotos, die nicht nur Tierarten, sondern vermeintlich ihre ganze ökologische Situation in einem einzigen Blick einfangen. Der Eisbär auf einer schmelzenden Scholle ist hier sicher das Paradebeispiel dafür. Solche Fotos bewegen, inspirieren, und sie gelten als Fenster in die Wildnis.

Doch was, wenn diese Fenster nicht den ganzen Raum zeigen, sondern nur die glänzendsten Ausschnitte? Eine neue Studie, die mehr als 1.300 Fotos des Wettbewerbs „Wildlife Photographer of the Year (WPOTY)“ aus den Jahren 2010 bis 2023 analysierte, kommt zu dem Ergebnis: Selbst unsere ästhetischsten Blicke auf die Natur zeichnen nur einen Teil des ökologischen Ganzen.

Blick durch die Linse, aber wohin?

Die Forschenden vom spanischen CSIC-Institut für Naturschutzbiologie werteten 1.333 prämierte Bilder aus. Jedes Foto wurde einer Art, einem Lebensraum (Biom) und einem geografischen Ort zugeordnet und die Art in einen Gefährdungsstatus eingestuft. Ziel war es, zu verstehen, welche Teile der biologischen Vielfalt in den letzten 13 Jahren „sichtbar“ gemacht wurden und welche im Verborgenen blieben. Die Ergebnisse: Fast 40 Prozent aller Aufnahmen stammten aus Europa, während tropische Regionen, die den Großteil der globalen Artenvielfalt beherbergen, kaum vorkamen. Genau dort aber, in den Regenwäldern Amazoniens, den Mangroven Südostasiens oder den Savannen Afrikas, ist das Herz der planetaren Biodiversität zuhause.

Die Ökologie der Sichtbarkeit

WPOTY-Bilder sollten nach Ansicht der Wissenschaftler mehr als Kunst sein. Sie bewerteten sie als Indikatoren dessen, wie Gesellschaft Natur wahrnimmt. Doch unter dieser Prämisse zeigte die Studie ein ökologisches Paradoxon: Unsere visuelle Aufmerksamkeit konzentriert sich demnach auf Landschaften, die zwar fotogen, aber ökologisch vergleichsweise artenarm sind. In der Sprache der Ökologie könnte man sagen: Wir beobachten die „Apex-Predatoren“ des Bildermarkts, große Säuger, Raubtiere, vertraute Vögel, und lassen zum Beispiel die Basis der Nahrungspyramide unbeachtet. Insekten, Pflanzen oder Amphibien, die zentrale Funktionen im Nährstoffkreislauf oder in der Bestäubung erfüllen, tauchen selten auf. Diese Verzerrung spiegelt sich auch in der realen Forschung und im Naturschutzbudget wider: Das, was wir sehen und bewundern, ist oft das, was wir schließlich finanzieren.

Was Biome erzählen, und was wir überhören

Interessant ist auch, welche Lebensräume im Wettbewerb dominierten, nämlich gemäßigte Laub- und Mischwälder, mediterrane Zonen und Regenwälder. Unterrepräsentiert blieben Biome wie Wüsten, Tundra und Borealwälder, Lebensräume mit extremen klimatischen Bedingungen, die oft schwer zugänglich und fotografisch anspruchsvoll sind. Doch gerade dort spielen sich ja einzigartige ökologische Prozesse ab: Migrationen von Zugvögeln, Anpassungsstrategien an Frost oder Trockenheit, Symbiosen, die das Überleben in lebensfeindlichen Umgebungen sichern. Wenn solche Systeme kaum fotografisch gezeigt werden, wird auch ihre ökologische Bedeutung unsichtbar – sowohl für die Öffentlichkeit als auch für politische Entscheidungsträger.

Die Biologie der Gewinner

Ein weiteres zentrales Ergebnis der Studie betrifft den Gefährdungsstatus der fotografierten Arten. Arten, die als „kritisch gefährdet“ gelten, waren leicht überrepräsentiert – vermutlich, weil sie visuell dramatisch wirken. Arten mit dem Status „Datenmangel“ dagegen, also solche, über die kaum Informationen existieren, tauchten fast gar nicht auf. In der Wildtierökologie spricht man hier von „sozialer Auslöschung“, dem Prozess, bei dem eine Art aus unserem kollektiven Gedächtnis verschwindet, lange bevor sie biologisch ausstirbt. Wenn eine Art in Medien, Forschung und Kunst nicht vorkommt, sinken ihre gesellschaftliche Relevanz und damit auch die Chance auf Schutzmaßnahmen.

Farbe, Emotion, Empathie – warum manche Bilder gewinnen

Die statistische Modellierung zeigte: Fotos mit auffälligen Farben, klaren Kontrasten oder emotionalen Momenten, wie etwa mütterlicher Fürsorge, hatten signifikant höhere Gewinnchancen. Das sagt weniger über die fotografierte Art aus als über uns Menschen: Wir reagieren stärker auf Gesichter, auf Augen, auf das, was uns ähnlich scheint. Ökologisch marginale, aber evolutionär faszinierende Gruppen, etwa Spinnen, Käfer oder Seeanemonen, bleiben dabei oft unbeachtet. Hier trifft Ästhetik auf Anthropozentrismus: Wir feiern das Wilde, solange es uns vertraut erscheint.

Wildtierfotografie zwischen Faszination und Verantwortung

Die Studie betont, dass Fotografie ein kraftvolles Werkzeug des Naturschutzes sei. Bilder können Bildungsprozesse anstoßen, Empathie fördern und das Verständnis für ökologische Zusammenhänge vertiefen. Doch sie können ebenso ungewollte Schäden verursachen, etwa wenn seltene Arten durch mediale Aufmerksamkeit unter Druck geraten oder sensible Lebensräume durch Tourismus beeinträchtigt werden. Ökologisch betrachtet, sollte Wildtierfotografie also immer auch Habitatfotografie sein: Nicht nur das Tier, sondern auch sein Netzwerk, seine Beute, seine Fressfeinde und seine Pflanzenwelt sollten sichtbar werden.

Ein ausgewogener Blick auf die Wildnis

In den letzten Jahren zeichnete sich aus Sicht der Forscher immerhin eine leichte Verbesserung ab: Insekten und marinen Lebensräumen wurde zunehmend mehr Raum gegeben. Vielleicht ist das ein Zeichen eines wachsenden ökologischen Bewusstseins einer Bewegung hin zu einem „ökologischen Realismus“ in der Naturfotografie.

EK

Eine PDF-Datei der vollständigen Studie in englischer Sprache können Sie hier herunterladen

 




Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

*

*

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.






Weitere Beiträge zu diesem und verwandten Themen finden Sie hier:

Ausstellung in München: Invasive Arten

Photovoltaik – die ungenutzte Chance für die Biodiversität

Otter – Helfer statt Schädling * SÜSSES VIDEO

Save the date: Internationale Igelkonferenz in Kopenhagen

Buchtipp: Die Besonderheiten der Borkenkäfer

UPDATE 21. November – Führung „Neuperlach der Tiere“

Rapsfelder – nur in Maßen gut für die Natur

FILMTIPP: Berührende Gedanken zur Jagd auf Gams

Neugierige Vögel könnten im Wandel besser bestehen

Wildtierschutz-Interview: gegen den Strich oder auf den Punkt?

Warum kein Gamsbock zwischen 4 und 12 Jahren sterben sollte

VIDEO Großartiges Fernseh-Duell: Tierschützerin trifft Jäger

Diese Woche neue Online-Igelvorträge von Ninja Winter

Studie: Laufkäfer brauchen Lebensräume

Artenkenntnis: Die Eltern haben sie in der Hand

Die Halloween-Studie: Ratten fressen Fledermäuse * VIDEO

Forscher warnen: Genetische Vielfalt nicht außer Acht lassen! UPDATE

Fischzustandsbericht und Preis für renaturierte Gewässer UPDATE

Ein tolles Bild von Schrott-Wissenschaft

Neue Wildtier-Studie: Ungeahnte Schlüsselakteure der Artenvielfalt!

Plastikmüll vom Acker wandert in Vogelnester

Städtische Mauereidechsen sind toleranter

Naturfilm-Festival von zuhause verfolgen UPDATE

Erinnerung – 25. September Vortrag in Nürnberg: Hilfe für verletzte Wildtiere

Wiederansiedlung von Luchsen in Colorado: Ein Lehrstück

Eulentagung mit Fotowettbewerb vom 24. bis 26. Oktober

Insektenschutz: Licht in der Nacht minimieren und fokussieren!

Gefährdete Gefährder: Was ist die Lösung des Katzendilemmas?

Fledermäuse markieren – nur für ein höheres Ziel!

Motten suchen das Licht – was das für unsere Wälder bedeutet






Aktuelle Informationen



"Volles Rohr" aufs Muffelwild in Thüringen Der Saale-Orla-Kreis in Thüringen bläst zum hemmungslosen Totalangriff auf das Muffelwild - wegen "überproportional" angewachsener Rudel, unzumutbarer Schäden in der…

Donnerstag, 13. November 2025
Jetzt lesen
Update Wildkatzen: Webinar der Wildtier Stiftung 16.11. Wussten Sie, dass das Streifgebiet einer männlichen Wildkatze etwa so groß ist wie das eines Rothirschs? Für ihre Körpergröße haben…

Donnerstag, 13. November 2025
Jetzt lesen
Ausstellung in München: Invasive Arten Das Deutsche Jagd- und Fischereimuseum zeigt noch bis 7. Juni 2026 eine Sonderausstellung zu invasiven Arten. Hier der Infotext des…

Mittwoch, 12. November 2025
Jetzt lesen

Mitglied werden